Rezensionsaufsätze
György Széll
Europa in der Falle? (S. 5-12)
Die Krise einer europäischen Einigungspolitik, die als Krise von Europäischer Union, Euro und Demokratie auseinander gelegt werden kann, ist heute offensichtlich und bildet die Basis für die Entwicklung rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Bewegungen auf dem ganzen Kontinent. György Széll nimmt Bücher zweier prominenter Sozialwissenschaftler zum Anlass, Grundfragen wie Perspektiven dieser unerfreulichen Lage zu diskutieren. Eine präzise Sicht auf neoliberale Ursachen der gegenwärtigen Misere sowie auf das reichhaltige kulturelle Erbe Europas könnte zu einer emanzipatorischen Politisierung der Bürgerinnen und Bürger Europas beitragen.
Franz Hamburger
Antiziganismus (S. 13-15)
Mit einem anderen Element europäischer Politik und Krisenhaftigkeit ist Franz Hamburger befasst, wenn er anhand einer neuen Studie zu Bildungsbiografien von Sinti und Roma die Tradition des Antiziganismus in Europa als gemeinsames Erbe herausstellt und in den Folgen für die Betroffenen rekonstruiert. Dabei zeigt sich, dass – bei entsprechenden Politiken – diese schlechte Tradition überwunden werden kann.
Salya Föhr
Produktivität des Scheiterns – Das Leben und Werk des Peter Weiss (S.16-21)
Auch an Person und Werk von Peter Weiss lassen sich »Höhen und Tiefen« europäischer Geschichte deutlich erkennen und konturieren. Salya Föhr nimmt das Erscheinen einer großformatigen Biografie zum Anlass, die Bedeutung dieses kritischen Intellektuellen für die deutsche und globale Geschichte zu entfalten und dabei deutlich zu machen, wie Zeitgeschichte in ihren divergenten Konstellationen – von Nationalsozialismus bis zu »kaltem Krieg« – die literarische wie die politischen Produktivität von Peter Weiß über seine gesamte Lebenszeit (mit)bestimmt.
Manfred Liebel
Paternalismus im Namen des Kindeswohls. Auf dem Weg zu einer Provinzialisierung der Kinderrechte? (S. 22-30)
Auf einem scheinbar anderen politischem Terrain bewegt sich Manfred Liebel, wenn er eine juristische Studie zu Kinderrechten und Kindeswohl kritisch rekonstruiert und diskutiert. Dabei macht bereits der Titel seines Beitrages die Akzentuierung deutlich. Gerade angesichts der anspruchsvollen Positionierung der Autorin ist es ihm darum zu tun, Widersprüche ihrer Argumentation und Perspektive herauszuarbeiten, um gegen einen »sanften« Paternalismus die für die Zukunft unserer Gesellschaften entscheidende Frage nach den Voraussetzungen und der Bedeutung der Gleichberechtigung von Kindern am politischen Leben voranzutreiben.
Alexander Stärck
Heterogenität, Verständigung und Differenzverhandlung in der frühen Kindheit. Kindzentrierte Perspektiven (S. 31-36)
In einer Verlängerung dieser kindheitsforscherischen wie kindheitspolitischen Diskurse stellt Alexander Stärck wesentliche Ergebnisse neuer empirischer Studien zum Leben in früher Kindheit dar. Entscheidend bei diesen Forschungsarbeiten ist die dabei leitende kindzentrierte Perspektive. Dabei geht es entscheidend um die Frage, inwieweit Geschlechterdifferenzierungen wie sprachliche Interaktion im Kontext von Heterogenität von statten gehen.
Anika Heinl
Kindergarten 2.0 – Medien als neue Herausforderung für das frühpädagogische Personal (S. 37-44)
Mit einer spezifischen Problemstellung in Kontexten früher Kindheit ist Anika Heinl befasst, die Fragen des Umgangs mit ›neuen‹ Medien als eine neue Herausforderung für das frühpädagogische Personal in Kindertagesstätten liest. Auch hier bildet eine großformatige empirische Studie die Grundlage für die Exposition von Problem wie Perspektive. Im Kern geht es um die Frage, wie ein nicht gerade medienaffiner Habitus und die Realität neuer Medien für die Stärkung von Medienerziehung und Mediennutzung vermittelt werden können.
Barbara Rose
Bröckelt das Ethos der fürsorglichen Praxis? (S. 45-53)
Barbara Rose rekonstruiert und diskutiert Beiträge in einem Band mit dem Titel »Sorge- Kämpfe«, der sich dem Entwicklungsstand in den Auseinandersetzungen um Arbeit und Arbeitsbedingungen in sozialen Dienstleistungen widmet. Angesichts von Prozessen der Vermarktlichung und Ökonomisierung von gesellschaftlichen Bereichen, die sich auf die »Arbeit am Leben« beziehen, werden Fragen nach Voraussetzungen und Folgen hochaktuell – dies sowohl für Klienten und Professionelle, aber auch für Institutionen und Gewerkschaften. Denn es geht sowohl um die Qualität der Sorge-Arbeit für die Empfänger-Seite als auch für die Beschäftigten.
Diskussion
Dieter Kreft und Manfred Kappeler diskutieren auf kontroverse Weise die Beiträge eines Bandes zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Nationalsozialismus, der sich vor allem auf die Frage des Widerstandes von Sozialer Arbeit in dieser Epoche zentriert. Während Ersterer zu einer insgesamt äußerst positiven Einschätzung des Bandes und seiner Bedeutung für die Profession gelangt, sieht Letzterer in besonderer Weise das Problem, dass sich kaum Hinweise auf einen sozialarbeitsspezifischen Widerstand gegen die vielfältigen Elemente einer faschistischen Politik des NS-Regimes finden lassen.
Dieter Kreft
Soziale Arbeit im Widerstand (S. 54-58)
Manfred Kappeler
Es gab keine »Soziale Arbeit im Widerstand!«, aber Widerstand von Frauen und Männern, die während des NS-Regimes in der Sozialen Arbeit tätig waren (S. 58-72)
Essays
Mit der Publikation von zwei Hauptvorträgen des Wuppertaler Marx-Kongresses (veranstaltet von der Hans-Böckler-Stiftung und der Bergischen Universität im April d. J.) greifen auch wir in die Debatten um Marx und Marxismus aus Anlass des 200. Geburtstages ein.
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik
Zur Aktualität der Praxisphilosophie von Karl Marx (S. 73-84)
Um die Aktualität der Marxschen Theorie herauszuarbeiten, so Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, gilt es zunächst ihren besonderen Charakter als Praxisphilosophie in Abgrenzung von der herkömmlichen Philosophie, wie sie in Hegels Philosophie des absoluten Geistes ihre Vollendung findet, herauszuarbeiten. Die Marx’sche Praxisphilosophie versteht sich selbst als praktisches Teilmoment der geschichtsmaterialistischen Emanzipation der Menschheit. Zudem stellt das unabgeschlossene Mammutwerk der Kritik der politischen Ökonomie demgegenüber nur ein eingeschränktes, jedoch unverzichtbares Teilstück des Marx’schen Gesamtanliegens dar; als die negative Beweisführung, dass die Wertlogik des Kapitals – in ihrer grundsätzlichen Verkehrung – die Arbeit und die Natur nur als Mittel für ihre Profitmaximierung nicht aber als Quellen allen gesellschaftlichen Reichtums anzusehen und zu behandeln vermag. Daraus erwächst das strukturell bedingte negative Verhältnis der Wertökonomie gegenüber den Lebensbedürfnissen der arbeitenden Menschen und gegenüber der Natur als unserer Lebensgrundlage. Damit wird Marx zum ersten Forscher, der die Bedeutung der Thematik der globalen ökologischen Krise für unser Überleben herausstellt.
Gareth Stedman Jones
History and Nature: Marx, Engels and Darwin (S. 85-94)
Auch der nächste Text thematisiert die »Naturfrage «, allerdings in einer Akzentuierung auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Forschungen und Erkenntnissen von Marx, Engels und Darwin im Kontext von Geschichte und Natur. Im Anschluss an die von Marx getroffene wesentliche Unterscheidung zwischen Naturgesetzen und Geschichtsprozessen wird deutlich herausgestellt, dass nur im Falle von Engels von dem Versuch geredet werden kann, die Forschungsergebnisse Darwins für Gesellschafts- wie Geschichtsanalysen zu nutzen. Dies ist entscheidend, da mit der Übernahme der Engelschen Position durch Revisionisten und »kommunistische« Ideologen der Boden für eine sozialdarwinistische Position, die auf die Rede vom »individuellen Existenzkampf« und damit auf die vom »survival of the fittest« bezogen ist, begründet wurde.
Trendbericht
Christian Niemeyer
Nietzsche und die Neue Rechte – Eine Zwischenbilanz nach 150 Jahren völkischer Bewegung (Teil 1) (S. 95-108)
Der hier präsentierte erste Teil des grundlegenden wie großformatigen Textes von Christian Niemeyer zu »Nietzsche und die Neue Rechte« vermittelt Einsichten in eine politisch mehr als brisante Geschichte, die der seit mehr als 150 Jahren – insbesondere in deutschen Landen – ihr Unwesen treibenden »völkischen Bewegung«. Vor dem Hintergrund neuester Forschungsergebnisse wird zunächst deutlich, dass nicht nur – angesichts von mörderischer Geschichte – mit dieser Bewegung und ihrem »Höhepunkt« im Nationalsozialismus als der deutschen Gestalt von Faschismus offensichtlich immer wieder neu und erneuert abgerechnet werden muss, sondern dass auch der Bezug dieser Bewegung auf das Werk F. Nietzsches völlig zu Unrecht geschieht. Denn Bezugnahmen auf Nietzsche zehren von den – häufig mit Antisemitismus und Rassismus verbundenen – Fälschungen seines Werkes durch seine Schwester, Elisabeth Nietzsche-Förster.
Einzelbesprechungen
Hans-Ullrich Krause/Regina Rätz
Soziale Arbeit im Dialog gestalten (Jan Nicolas) (S. 109-113)
Michael Kirchner/Sabine Andresen/Kristina Schierbaum
Janusz Korczaks ›schöpferisches Nichtwissen‹ vom Kind (Irit Wyrobnik) (S. 113-115)
Bernd Heyl/Sebastian Voigt/Edgar Weck
Ernest Jouhy. Zur Aktualität eines leidenschaftlichen Pädagogen (Kenneth Rösen) (S. 116-118)
Ursula Stenger/Doris Edelmann/David Nolte/Marc Schulz
Diversität in der Pädagogik der frühen Kindheit (Dominik Braun) (S. 118-122)
Maria-Eleonora Karsten/Melanie Kubandt
Lehramtsstudium Sozialpädagogik. Eine Bestandsaufnahme nach 20 Jahren (Stephanie Spanu) (S. 122-126)
Peter Hayes
Warum? Eine Geschichte des Holocausts (Anna Ullrich) (S. 126-128)
Autorinnen/Autoren (S. 129)