Rezensionsaufsätze
Harald Seubert
Der welthafte Mensch. Wolfgang Welsch's Gegenkonzeption gegen das anthropische Konzept neuzeitlicher Philosophie (S. 5-16)
Mit dem Text von Harald Seubert zu dem großformatigen Buch von Wolfgang Welsch »Homo mundanus« verlängern wir die Zahl unserer Beiträge zu philosophischer und politischer Anthropologie, deren gesellschaftstheoretischer wie gesellschaftspolitischer Bedeutung, substantiell. Auf der Tagesordnung stehen mit den eintausend Seiten dieser Studie (wieder) grundlegende Fragen nach menschlichem Selbstverständnis und gesellschaftlicher, weltlicher Gestaltungsmacht, wie sie seit der Aufklärung – und damit dem Beginn der Moderne –, deren unterschiedlich ausformulierter Kritik und der Postmoderne, für die Welsch bekanntlich aus exzellenter Kenner gilt, diskutiert werden. Der Rezensionsaufsatz nimmt Leserin und Leser auf eine tour d’horizon durch wesentliche Argumentationsfiguren von Philosophie- und Gesellschaftsgeschichte nachvollziehbar mit, und verdeutlicht die Brisanz von auf den ersten Blick disziplinär einzuordnenden Fragen und Debatten als von interdisziplinärem und allgemeinem Interesse.
Wolfgang Lempert
Akademischer Kapitalismus (S. 17-26)
Mit gesellschaftlicher Realität hochschulwissenschaftspolitischer Gegenwart ist Wolfgang Lempert grundlegend befasst, wenn er sich mit Richard Münchs »Akademischem Kapitalismus« auseinandersetzt. Den angelsächsischen Befunden von ›Warenförmigkeit‹ und ›Vermarktung‹ im spätkapitalistischen Bildungs- und Wissenschaftssystem korrespondiert in deutschen Landen eine ähnliche Entwicklung. Mit »Exzellenzinitiativen« und »Rankings« in universitären Kontexten wird eine gesellschaftliche Wirklichkeit vorgegaukelt, die nur durch neoliberale Ideologien aufgebaut werden kann. Dem vorauseilenden Gehorsam deutscher Vollstrecker gesamteuropäischer Beschlüsse (wie Bologna und die Folgen), der damit vermittelten Instrumentalisierung und Standardisierung von Handeln, Prozessen der Deprofessionalisierung, Rehierarchisierung und -polarisierung der Akteure gilt der Zorn von Verfasser und Rezensentem.
Heinz-Elmar Tenorth
»Bildungsrevolution« – Praxis der Subjekte und Folgen der Verstaatlichung (S. 27-32)
Wie und wo der Anfang zuvor abgehandelter Prozesse im ›Bildungswesen‹ zu finden ist, lässt sich instruktiv im Kontext der von Heinz- Elmar Tenorth vorgestellten Überlegungen und Forschungsergebnisse von Heinrich Bosses, Bildungsrevolution 1770-1830 diskutieren, wenn er dessen Ideen unter dem Titel »Praxis der Subjekte und Folgen der Verstaatlichung« diskutiert. Machttheoretisch angelegt wird das Verhältnis von spezifischen Formen des Sozialen zu Individuen und ihren Bildungspraktiken, denen die »Verstaatlichung des Lernens« entgegengesetzt wird, rekonstruiert, ohne die Widersprüche in Wirklichkeit und Bildung zuzudecken.
C. Wolfgang Müller
Alice Salomon revisited (oder) Alice Salomon: Soziale Arbeit auf dem Wege zur Profession (S. 33-37)
Einem anderen, nicht unbedingt anders gearteten, Bildungsprojekt widmet sich C. Wolfgang Müller, wenn er Adriane Feustels Alice Salomon-Studie als Beitrag zur Geschichte der Professionsbildung Sozialer Arbeit, damit der Analyse und Gestaltung des Sozialen vorstellt. Wichtig ist ihm vor allem, den Beitrag Salomons zur Analyse des Sozialen in verschiedenen Zeiten der deutschen Geschichte als wesentlich für die Geschichte der Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit deutlich zu machen. Zudem ist es ihm darum zu tun, Alice Salomon aus den Klauen einer beschränkten und falschen, ihren partikularen Interessen folgenden Rezeption in der Bundesrepublik zu retten.
Wilma Ruht Albrecht
Der Euro, die DM, die Finanzkrise ... und dann? (S. 38-46)
Um Rettungsperspektiven geht es auch im nächsten Text, in dem sich Wilma Ruth Albrecht an einflussreichen Euro-Kritikern und ihrem Ruf nach der D-Mark abarbeitet. Angesichts dessen, was sich als Finanzkrise darstellt, ist die Frage, was den Kapitalismus – heute – im Innersten zusammenhält, für eine Analyse entscheidend. Erinnert wird mit Eric Hobsbawn daran, dass die letzte große historische Krise des Kapitalismus mit Kriegsvorbereitung und Krieg gelöst wurde.
György Széll
Energiewende? (S. 47-50)
In den Zusammenhang von Krisen, Rettungsperspektiven und ›Lösungen‹ gehört auch der Beitrag von György Széll, der den Band von Peter Hennecke und Paul Welfens, Energiewende nach Fukushima zum Anlass nimmt, die vorgelegte Analyse darzustellen, kritisch zu beleuchten und Perspektiven zu diskutieren. Der Kosten- und Akzeptanzproblematik der Energiewende, wenn sie sich denn global ereignen sollte, wird eine Darstellung anderer Kosten gesellschaftlicher Umgangsweisen mit Energie zur Seite gestellt, die Einbettungen in kapitalistische Verwertungsprozesse erkennen lässt.
Essay
Andrea Lange-Vester
Lehrerinnen und Habitus – Der Beitrag milieuspezifischer Deutungsmuster von Lehrkräften zur Reproduktion sozialer Ungleichheit in schulischen Bildungsprozessen (S. 51-70)
In den Zusammenhang von Krisen, Rettungsperspektiven und ›Lösungen‹ gehört auch der Beitrag von György Széll, der den Band von Peter Hennecke und Paul Welfens, Energiewende nach Fukushima zum Anlass nimmt, die vorgelegte Analyse darzustellen, kritisch zu beleuchten und Perspektiven zu diskutieren. Der Kosten- und Akzeptanzproblematik der Energiewende, wenn sie sich denn global ereignen sollte, wird eine Darstellung anderer Kosten gesellschaftlicher Umgangsweisen mit Energie zur Seite gestellt, die Einbettungen in kapitalistische Verwertungsprozesse erkennen lässt.
Trendbericht
Daniel Mühlenfeld
Vom Nutzen und Nachteil der »Volksgemeinschaft« für die Zeitgeschichte (S. 71-104)
In einem weitgreifenden und analytisch tiefgehenden Text rekonstruiert Daniel Mühlenfeld das geschichtsschreibungsmäßig äußerst komplexe Feld der Beiträge zu einem entscheidenden Konstitutions- und Geltungsproblem des Nationalsozialismus, der deutschen Gestalt von Faschismus, unter dem Titel »Volksgemeinschaft «. In Frage steht mit der Volksgemeinschaftsideologie, ihrer Funktionalität wie ihrem ›Funktionieren‹, grundsätzlich die nach der gesellschaftlichen Verfasstheit des Nationalsozialismus; damit die nach dem, was diese Gesellschaft zusammengehalten hat – von der Suggerierung von Normalität bis Terror und Massenmord. Der Autor plädiert perspektivisch für ein Verständnis von Geschichte als historischer Sozialwissenschaft, um die analytischen Probleme, die gerade der NS und seine gesellschaftliche Wirklichkeit aufwirft, angemessen klären zu können. Dies auch, um zu zeigen, wie ernst die Volksgemeinschaftsideologie zu nehmen ist – als Beitrag zur Gestaltung und Durchsetzung inhumaner Verhältnisse.
Debatte
Horst Müller
Zum Streit über eine praxisphilosophische Marxinterpretation (S. 105-119)
Horst Müller mischt sich kenntnis- und ertragreich in die Debatte um den Westlichen Marxismus, der praxisphilosophischen Analyse und Interpretation der Marxschen Theorie und Forschung ein (SLR Heft 65). Er konturiert die Ausgangslage der Debatte und die sich darauf beziehenden kontroversen Positionen, um deutlich machen, dass es – auch hier – um das Problem der Analyse der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeit und das Verständnis der Praxisbedingungen wie Praxisperspektiven von Menschen geht.
Einzelbesprechungen
Nikola Tietze
Imaginierte Gemeinschaft. Zugehörigkeiten und Kritik in der europäischen Einwanderungsgesellschaft (Franz Hamburger) (S. 120-122)
Dirk Michel
Politisierung und Biographie: Politische Einstellungen deutscher Zionisten und Holocaustüberlebender (Dani Kranz) (S. 122-124)
Wolfgang Weigand
Philosophie und Handwerk der Supervision (Katharina Gröning) (S. 124-128)
Karen Hagemann
Children, families, and states. Time policies of childcare, preschool, and primary education in Europe (Peer Zickgraf) (S. 128-130)
Thomas Wagner
Entbürgerlichung durch Adressierung? Eine Analyse des Verhältnisses Sozialer Arbeit zu den Voraussetzungen politischen Handelns (Carsten Schröder) (S. 130-133)
Charlotte A. Lerg
Amerika als Argument. Die deutsche Amerika-Forschung und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 (Alfred Wesselmann) (S. 134-135)
Autorinnen/Autoren (S. 136)