Zu diesem Heft (S. 3-4)
Rezensionsaufsätze
Friedemann Affolderbach
Perspektiven Kritischer Sozialer Arbeit (S. 5-17)
Zum 80. Geburtstag von Hans-Uwe wurde eine Festschrift unter dem Titel veröffentlicht: »Wie geht‘s weiter mit der Sozialen Arbeit…«. Das Buch fragt in sieben unterschiedlichen Dimensionen von Theorie, Politik und Praxis Sozialer Arbeit nach deren Zukunft. Friedemann Affolderbach konzentriert sich dabei auf eine Diskussion ausgewählter Texte, die Bestimmungen im Verhältnis von Sozialer Arbeit und ihrer Positionierung in den gesellschaftlichen und sozialpolitischen Verhältnissen des Wohlfahrtsstaates vornehmen. Auf dieser Grundlage werden zentrale Dimensionen der Professionalisierung Sozialer Arbeit thematisiert und unter Bezug auf Impulse von H.-U. Otto kritisch eingeordnet.
Smail Rapic
Ist der Kapitalismus am Ende? (S. 18-25)
Zukunft spielt auch eine entscheidende Rolle bei heutigen Diskussionen über »Kapitalismus«. Smail Rapic stellt neue Überlegungen wie Analysen von Nancy Fraser vor. Sie rückt insbesondere in ihrer Kapitalanalyse das prekäre Verhältnis der kapitalistischen Wirtschaft zu ihren Hintergrundbedingungen der sozialen Reproduktion, die in der Regel Frauen überantwortet wird, der natürlichen Umwelt, der öffentlichen Gewalten und der – meist rassistisch legitimierten – Unterdrückung minorisierter Bevölkerungsgruppen in den westlichen Ländern und außereuropäischer Völker ins Zentrum.
Jacob Kornbeck
Nach dem Kapitalismus, eine neue digital strukturierte Rentenökonomie? (S.26-30)
Jacob Kornbeck rekonstruiert die Argumente von Y. Varoufakis zum Übergang vom Kapitalismus zum »Technofeudalismus« – als Ergebnis der Digitalisierung. Als Antwort auf die Frage, ob diese den Kapitalismus eher stärke oder eher schwäche, wird die Entwicklung von Technologie und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten rekonstruiert und gezeigt, wie das ursprünglich offene, unkontrollierbare und auf Beteiligung ausgerichtete Internet zunehmend von großen Konzernen vereinnahmt worden ist, deren Rechte zunehmend kompromisslos monetarisiert werden. Enden könnte diese Entwicklung in einer neuen Form der Rentenökonomie, die mit Feudalismus mehr gemeinsam hat als mit Kapitalismus.
György Széll
Widerstand und Erinnerungskultur (S. 31-37)
Was bleibt, ist die Aufgabe der Vermittlung von »Bildung und Widerstand«, so das Thema in der Darstellung und den Reflexionen von Görgy Széll. Er entfaltet diese am Beispiel zweier Bände zum Zusammenhang von Widerstand und Erinnerungskultur. Im Zentrum steht dabei zum einen die Aufgabe der Verteidigung menschlicher Würde, zum anderen die Erinnerung an Widerstand, dessen Möglichkeit und Realisierung auch unter unmenschlichen Bedingungen.
Michael Winkler
Wie man mit der Begriffskeule Dekolonisierung die Welt der Sozialen Arbeit neu erfindet – und alles vergisst, was mit Sozialpädagogik zu tun haben könnte (S. 38-48)
Dass diese Positionierung nicht immer gelingt, zeigt Michael Winkler in seiner Auseinandersetzung mit einem von Yari Or herausgegebenen Band auf, der den Anspruch dekolonialisierender Praxen erhebt. Es geht um die Darstellung politischer und künstlerischer Projekte, die an Formen einer autochthonen oder indigenen Spiritualität anknüpfen, um Heilung zu versprechen. Für den Kontext einer wissenschaftlichen aufgeklärten, berufsfachlich betriebenen Sozialpädagogik wird jedoch der Mangel an theoretischer Einbettung und Begründung mit Blick auf deren notwendige Aufgaben und Leistungen konstatiert.
Jacob Kornbeck
Beim Kampf um globale Gerechtigkeit (und Frieden) keine offenen Türen einrennen (S. 49-53)
Global und an der Frage globaler Gerechtigkeit orientiert, sind die Interviews im nächsten von Jacob Kornbeck vorgestellten Band. Bekannte Namen aus Wissenschaft, Gesellschaftskritik, Publizistik sowie Aktivist*innen kommen zum Wort, um gegenwärtige Herausforderungen globaler Governance unter die Lupe zu nehmen. Es geht um Entwicklungen im globalen Ökosystem im Globalen Norden wie im Globalen Süden; Es geht um globalen Aktivismus, mit dem das Ziel einer ökologisch wie sozial ausgewogenen Entwicklung und Zukunft thematisiert wird.
Timm Kunstreich
Genossenschaften (S. 54-59)
Eine realpolitische Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise und der ihr inhärenten Eigentumsverhältnisse bilden Genossenschaften. Timm Kunstreich stellt wesentliche Elemente dieser Praxis vor, deren Vorgänger und Vorbilder bereits im Mittelalter in der Gestalt von Gilden und Zünfte gesehen werden können. Eine Auseinandersetzung über die Bedeutung politischökonomischer-sozialer Kooperation in Zeiten neoliberaler, Individualismus fördernder Hegemonie steht noch aus, doch bietet eine Analyse der Entwicklung italienischer Genossenschaften bereits wichtiges Anschauungsmaterial.
Birte Klingler
Konkretisierung von Kindheitsforschung als ›kritische‹ Kindheitsforschung? (S. 60-66)
Kindheit bedeutet Zukunft. Birte Klingler stellt relevante Neuerscheinungen der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung vor, folgt Antworten auf die Frage nach den Konstitutionsprozessen von Kindheit heute. Zudem geht es wesentlich um die Frage, wie Kindheitsforschung zukünftig ausgerichtet sein sollte. Die Perspektive liegt in einer Macht- und herrschaftskritischen Konkretisierung von Kindheitsforschung.
Gabriel Schoyerer
Qualität in Früher Bildung (S. 67-71)
Auf die Frage nach konkreten Lebensbedingungen von Kindern in ihren frühen Jahren ergibt sich als eine Antwort, dass immer mehr Kinder »Klienten« oder »Subjekte« von Kindertagesbetreuung werden. Gabriel Schoyerer diskutiert Ergebnisse von Studien, die die Qualitätsdiskussion ins Auge fassen. Allerdings leidet diese Diskussion bislang entscheidend daran, dass sie ohne einen Begriff pädagogischer Qualität vorgeht.
Stephanie Simon
Kinderarmut – ein vernachlässigter Forschungsgegenstand? (S. 72-81)
Lebensbedingungen von Kindern anderer Art und Qualität stehen im Zentrum des Beitrags von Stephanie Simon. Sie stellt die Erträge des »Handbuch Kinderarmut« vor, in dem ein Großteil vorliegender qualitativer sowie qualitativer Studien zum Thema und den Folgen für das Leben armer Kinder gebündelt werden. Forschungsansätze aus der Sozial- und Kindheitsforschung werden hier einbezogen und ein politischer Handlungsbedarf skizziert.
Forschungsberichte
Heinz Sünker
Palästina – Israel – Deutschland. Geschichte und Politik in prozessierende Widersprüchen (S. 82-94)
Nicht erst seit dem gegenwärtigen Krieg in Gaza und der Attacke der Hamas auf Israel ist das Verhältnis zwischen in Palästina lebenden einheimischen Arabern und der zionistischen Bewegung, die in der Staatsgründung Israels 1948 endete, konfliktvoll und widersprüchlich. Heinz Sünker rekonstruiert in friedenspolitischem Interesse grundlegende Texte kritischer israelischer, palästinensischer und internationaler Intellektueller zur historischen wie gegenwärtigen Analyse des Verhältnisses von Palästina, Zionismus und Israel seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sowie und zur besonderen Einbindung Deutschlands in diese Konstellation als Ergebnis der Shoah, die der zionistischen Nationalstaats-Idee – und dessen internationaler Unterstützung – noch einen zusätzlichen Impuls gab. Betont wird die Verantwortung Deutschlands nicht nur für einen demokratischen Staat Israel, sondern auch für einen demokratischen Staat Palästina (durchaus im Sinne von »victim of the victim«). Gefordert wird zudem eine Analyse der Gründe für die Nicht-Entstehung eines Staates Palästina 1948 (welche Interessen auf welcher Seite? – auch der arabischen Despotien) sowie ein Einsatz kritischer Intellektueller und an Demokratisierung interessierten Bevölkerungsteilen
auf beiden Seiten als auch international für eine tragfähige Friedenslösung.
Kenneth Rösen
Die Provokation der Ungleichheit für Gesellschafts- und Befreiungstheorie (S. 95-105)
Die extreme Ungleichheit in kapitalistischen Gesellschaftsformationen stellt eine Provokation für Theorien der Gesellschaft und den zivilisatorischen Stand menschlicher Entwicklung dar. Denn Ungleichheit besteht keineswegs naturwüchsig, sondern muss als Grundbedingung des Kapitalismus betrachtet werden. Kenneth Rösen verdeutlicht Ungleichheiten, indem er Elemente und Dimensionen reichen wie armen Lebens kontrastiert. Analytisch macht er klar, dass Ungleichheit die Gesellschaftstheorie zur Kritik am System der Gegenwart nötigt und dazu, einen Weg aus dem System der Ungleichheit mitzudenken. Auf diese Weise treten Gesellschafts- und Befreiungstheorie in eine Symbiose.
Trendbericht
Christine Meyer
Zum Thema Essen im Strafvollzug. Zwischen Bestrafung, Strukturierung des Alltags, sinnvollem Zeitvertreib, Widerstand und resozialisierendem Essen (S. 106-120)
Vor allem in Grenzsituationen wird der Befriedigung von Grundbedürfnissen tragende Bedeutung beigemessen. Solch eine Grenzsituation entsteht mit der Inhaftierung in eine Justizvollzugsanstalt. Die Gefängnisverpflegung stellt eine Zwangsverpflegung ohne Alternativen für die Gefangenen dar und aus der Alternativlosigkeit erwächst eine Verantwortung für den Gesamtkomplex »Essen in Justizvollzugsanstalten«. Wenn der Anspruch an Resozialisierung besteht, so Christine Meyer, steht auch die Perspektive der Sozialen Arbeit im Blickpunkt, zumal seit etwa 15 Jahren die Verantwortung der Sozialen Arbeit für das Thema Essen disziplinär und professionell stärker thematisiert und sichtbar gemacht wird.
Einzelbesprechungen
Michael Winkler
Prekäres Glück. Adorno und die Quellen der Normativität. (Peter E. Gordon) (S. 121-123)
Katja Maar
Subjektivierende Soziale Arbeit. Ein Theorieangebot für Studierende, Praktizierende und Lehrende der Sozialen Arbeit. (Andreas Thiesen) (S. 124-125)
Heinz Sünker
Nicht Wie Ein Liberaler Denken (Raymond Geuss) (S. 117-119)
Bettina Hofmann
A Double Burden. Israeli Jews in Contemporary Germany (Uzi Rebhun/Dani Kranz/Heinz Sünker) (S. 126-128)
György Széll
Sebastião – Eine portugiesische Geschichte (Georg Franzky Cabral)
Und das sind wir – Deutsch-portugiesische Familiensaga aus dem 20. Jahrhundert (Georg Franzky Cabral) (S. 129-132)
Autor*innen (S. 133)