Literaturbericht
Ludwig Heuwinkel
Resonanzbeziehungen – ein neuer Theorieansatz gegen Entfremdung, Beschleunigung und die Steigerungslogik moderner Wachstumsgesellschaften (S. 5-31)
Mit seinem Buch »Resonanz« hat H. Rosa eine breite, Fachgrenzen überschreitende Diskussion zu Sozial- und Gesellschaftstheorie sowie Gesellschaftsanalyse ausgelöst. Ludwig Heuwinkel rekonstruiert zunächst in einem großformatigen Zugriff das Ergebnis dieses Versuches, mit dem beansprucht wird, einen wesentlichen Modus von Weltbeziehung, in dem sich Subjekt und Welt gegenseitig erreichen würden – dies in der Form einer Antwortbeziehung –, darzustellen. Vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses von Rosa, einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kritischen Theorie zu leisten, wird in einem zweiten Schritt die inzwischen vorliegende kritische Diskussion dieses Ansatzes dargestellt und in ihren disziplinär unterschiedlich aufgestellten Beiträgen sowie den Repliken Rosas für ein Gesamtergebnis geprüft.
Rezensionsaufsätze
Kenneth Rösen
Im Jahr danach – Debatten um Marx (S. 32-37)
Auch in dieser Ausgabe der SLR wird die – vor vielen Jahren hier begonnene – Diskussion um Marx und kritischen Marxismus fortgesetzt. Zunächst stellt Kenneth Rösen zwei wichtige Neuerscheinungen zum Thema vor, die aus Anlass des 200. Geburtstages von Karl Marx einen Stand der Debatte zum Thema verkörpern. Dabei leitet beide hier diskutierten Bände die Vorstellung, dass die Marxschen Analysen als Beiträge zu einer kritischen Sicht auf Gesellschaft/ Kapitalismus mit einer emanzipatorischen freiheitlichen Perspektive von Gesellschaftsentwicklung – dies insbesondere in Abgrenzung zu den autoritären respektive diktatorischen staatskapitalistischen Versuchen, die auf der Basis leninistischer Weltanschauung entstanden – zu verstehen sind.
György Széll
Auf der Suche nach dem Ökonomischen – Karl Marx zum 200. Geburtstag (S. 38-42)
György Széll präsentiert einen Band, der mit der Schwerpunktsetzung auf Fragen von Ökonomie und Ökonomischem den Beitrag von Marx kritisch rekonstruiert. Dabei zeigt sich zum einen die Vielseitigkeit und Vielfältigkeit der Marxschen Gesellschaftsanalyse, in der diese Themen eben unter dem Titel »Kritik der politischen Ökonomie« verhandelt werden, zum anderen wird deutlich, dass bei ihm – auch bezogen auf die »Naturfrage« – bereits sehr früh Ökonomie und Ökologie miteinander vermittelt bzw. in ihrer Vermitteltheit dargestellt wie problematisiert werden.
Uwe Sielert
Sozialpädagogik als sexualpädagogisch ambitionierte Wissenschaft (S. 43-49)
Eine Neuerscheinung, in der »Sozialpädagogik als Sexualpädagogik« konzipiert wird, ist für Uwe Sielert Anlass zu grundlegenden Reflexionen zu den hier vermittelt dargestellten Konzeptionen. Er beschreibt den Versuch, sexuell relevante Themen im Kontext sozialpädagogischer Geschichtsschreibung für die Reformulierung einer sexualpädagogisch ambitionierten Wissenschaft und Profession neu zu entwerfen. Dabei gelingen – für viele sicherlich überraschende – Einsichten in Schriften sozialpädagogischer Klassiker; zudem gilt der Bezug auch, in der Form kritischer Auseinandersetzungen, sexualpädagogischen Impulsen aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts und deren Versuchen, einen emanzipatorischen Beitrag zu leisten.
Karina Schlingensiepen-Trint
Zur normativen Ethik Sozialer Arbeit (als Profession) – Zwischen fehlender Identität und Neukonzipierung? (S. 50-56)
Grundlegend für die zuvor angedeuteten Kontexte sozialpädagogischer Theoriebildung sind in ihrer Geschichte immer auch grundständige Fragen von Professionsethik, die sich professionsethisch vor allem in »mission statements« beruflicher Organisationen, gewesen. Karina Schlingensiepen-Trint stellt eine anspruchsvolle Neuerscheinung zum Thema vor und diskutiert diese kritisch mit Bezug auf Grundlegung, Grenzen und Ergebnis. Im Zentrum stehen dabei Fragen und Antworten auf das Problem der Möglichkeit einer normativen Theorie (die im hier diskutierten Werk unter einer philosophischanthropologischen Perspektive vorgetragen wird) und der Folgen für die Formulierung einer Theorie der Ethik der Profession Soziale Arbeit.
Forschungsbericht
Ulfrid Kleinert
Islam-Kontroversen und -Begegnungen (S. 57-86)
Nachdem Ulfrid Kleinert im ersten Teil seines Beitrags in der letzten Ausgabe der SLR wesentliche Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum zu Fragen von historischer Entstehung und nachfolgenden Entwicklungen des Islam, der unterschiedlichen Lesarten in – auch – konkurrierenden Schulen, vorgestellt hat, ist er in diesem Teil mit grundlegenden Forschungsfragen zur Theologie ›des‹ Islam befasst. Vor dem Hintergrund einer Position, die einen Buchtitel aufnehmend »Den Koran anders lesen « benannt ist, rekonstruiert er großformatig Beiträge zu einem Konzept einer Theologie der »Barmherzigkeit«, die allem Gewaltförmigem diametral entgegensteht – und zudem in ihrer Betonung der Verteidigung von »Humanität« auch anschlussfähig an andere, moderne nichtislamische Theologien (mit Bezug auf andere Religionen) ist.
Essays
John Clarke/Janet Newman
Der Brexit und die Folgen: Politische Krisen als Konjunkturen betrachtet (S. 87-97)
Bekanntlich scheint der Brexit für das Vereinigte Königreich wie die Europäische Union eine nie endende Geschichte zu sein oder zu werden. Von daher besteht eine entscheidende gesellschaftswissenschaftliche Herausforderung darin, Grundlagen und Perspektiven, politischer Kultur und Mentalitäten der jeweiligen Protagonisten unterschiedlicher Lösungen wie Ideologeme zu analysieren. John Clarke und Janet Newman stellen sich dieser Aufgabe. Mit Bezug auf grundlegende methodologische Beiträge der »cultural studies« des Centre of Contemporary Cultural Studies (CCCS) – zentriert um das, was »Konjunkturanalyse« genannt wird – formulieren sie Problemstellungen und mögliche Antworten, um diesen komplexen Gegenstand auf eine analytisch sehr gehaltvolle wie erfolgreiche Weise einzufangen. Dabei ist es ihnen wichtig, alle eindimensional verfassten Problemstellungen wie Antworten abzuweisen – auch wenn deutlich wird, dass es um Gefahren von Nationalismus und Rassismus in Verbindung mit dem wirkmächtigen Ideologem »Englishness« geht.
Andreas Aust
Armut trotz Prosperität. Befunde zur sozialen Ungleichheit in Deutschland auf Grundlage der Paritätischen Armutsberichte (S. 98-106)
Mit gesellschafts- und sozialpolitischen Fragen in einer gespaltenen, ungleichen Gesellschaft anderer Art, die gleichwohl eine Verknüpfung zur vorherigen Thematik anbieten, ist Andreas Aust befasst, wenn er den neuesten Armutsbericht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) nutzt, um basale Fragen von Armutsberichterstattung und Armenpolitik zu reflektieren. Angesichts dieser neuesten Ergebnisse, die deutlich machen, dass Armut trotz Reichtumsentwicklung ein wesentliches Charakteristikum der jüngeren sozialen Entwicklung in Deutschland ist, dass Erwerbstätige mit ihren Familien und RentnerInnen maßgebliche Gruppen unter den Armen heute darstellen, geht es – wieder einmal oder immer noch – um die Frage der Möglichkeiten einer anspruchsvollen Arbeitsmarkt- und Mindestlohnpolitik sowie um Formen von Alterssicherung, mit denen sich Armut in der Breite bekämpfen lässt.
Einzelbesprechungen
Heinz Sünker
The New Power Elite. Inequality, Politics and Greed (Alan Shipman/June Edmunds/Bryan S. Turner) (S. 107-109)
György Széll
Stolpersteine. Idee. Künstler. Geschichte. Wirkung. (Hans Hesse) (S. 109-111)
Julia Gottschalk
Sozialpädagogische Probleme in der Nachkriegszeit (Peter Hammerschmidt/Anne Hans/Melanie Oechler/Uwe Uhlendorff) (S. 111-114)
Katharina Gröning
Sozialarbeit unter extremen Bedingungen. Lehren aus dem Holocaust von Lorrie Greenhouse Gardella (Louis Lowy) (S. 114-115)
Berno Hoffmann
Demokratie und Soziale Arbeit. Entwicklungslinien und Konturen demokratischer Professionalität (Patrick Oehler) (S. 115-118)
Gerald Hartung
Georg Simmel und das Leben in der Gegenwart (Rüdiger Lautmann, Hans Wienold) (S. 118-120)
Heinz Sünker
Making Popular Participation Real: African and International Experiences (György Széll/Dasarath Chetty) (S. 120-122)
Autorinnen/Autoren (S. 123)