Rezensionsaufsätze
Michael J. Thompson
Reconstituting the Critique of Capitalism through Critical Theory (S. 5-10)
Mit dem Buch »Capitalism« von N. Fraser & E. Jaeggi, einer amerikanisch-deutschen Zusammenarbeit in der Form eines Gespräches, verbindet sich für Michael Thompson ein wesentlicher Beitrag zur Kapitalismusanalyse aus der Sicht Kritischer Theorie. Für ihn handelt es sich um eine strukturelle Analyse einer totalen gesellschaftlichen Formation, deren Folgen für die Möglichkeiten kritischer Bewusstseinsbildung und Urteilsfindung es allerdings genauer zu bestimmen gilt als dies beim vorliegenden Versuch der Fall ist. Insbesondere wenn man sich der Herrschaft von Verdinglichung und von entfremdeten Formen gesellschaftlichen und politischen Lebens in unseren Gesellschaften bewusst ist, bleibt ein Mangel dieser Veröffentlichung, dass hier nicht geklärt wird, was Wilhelm Reich als die Frage, warum Individuen nicht stärker gegen die Unterdrückungsstrukturen, die sie umgeben, angehen, auf die Tagesordnung gebracht hat.
Michael Winkler
Wie Beziehungen erziehen (S. 11-20)
Eine Analyse pädagogischer Theorie und Praxis könnte teilweise Antworten auf diese Frage geben und vielleicht sogar klären, welche Alternativen in Denken und Handeln vorstellbar sind. Michael Winkler stellt eine pädagogische Grundlegung vor, mit der unter dem Titel »Beziehungspädagogik « untersucht wird, wie Erziehung erzieht. Eine Erziehung der Beziehung und in Beziehungen kann sich auf eine große Tradition der Philosophie der Erziehung beziehen wird aber hier wesentlich in ihrem Bezug auf moderne Erkenntnisse evolutionärer Anthropologie (Tomasello – auch in der SLR Autor und Gegenstand) genutzt. Die Vorstellung macht Vorzüge des neuen Ansatzes deutlich, verweist aber auch auf bleibende Desiderate.
Michael May
Chancen und Grenzen einer Ethnographie Sozialer Arbeit (S. 21-31)
Auch die großformatige Diskussion zu den Grundlagen und Ergebnissen des Bandes »Doing Social Work« von Michael May ist in gewisser Weise mit der ›Wirkungsfrage‹ befasst, geht es doch immer auch um die – hier durch ethnographische Forschung zu klären gesuchte – Frage, die für Theorie wie Praxis gleichermaßen relevant ist, wie denn durch Konstruktion(en) Positionierungen wie die der Adressatin oder die der Professionellen von Sozialer Arbeit in die Welt gebracht werden – eben mit konkreten Folgen für Selbstverständnis, Wissen, Bewusstsein, Handlungsfähigkeit wie Handlungsbereitschaft (insbesondere auch in diesem nicht immer Sicherheit gebenden Feld). Zugleich wird einmal mehr die Frage nach Genesis und Geltung Sozialer Arbeit thematisch, damit also auch die nach deren politischer Produktivität – (im) Jenseits von Hilfe und Kontrolle.
Tim Krüger
Die Wiederentdeckung eines vergessenen Zusammenhangs – Zum Thema Religiosität in der Sozialen Arbeit (S. 32-37)
Tim Krüger stellt einen Band zum Thema »Religionssensibilität in der Sozialen Arbeit« vor, mit dem sich argumentieren ließe, dass angesichts der die Gegenwart bestimmenden Unsicherheiten in Disziplin und Profession hier ein Sicherheit versprechender »Fels« gefunden werden könne – was aber schon im Katholizismus und seiner Kirche mehrheitlich schief gegangen ist. Angesichts der Geschichte Sozialer Arbeit, in die historisch-systematisch der Übergang von durch christliche Nächstenliebe begründete »Armenpflege« in moderne Sozialarbeit eingelassen ist, ließe sich aber auch vermuten, dass es sich hier um eine Sackgasse handelt. Daher ist es wichtig, dass hier sorgfältig und ausgewogen Grenzen und Möglichkeiten einer besonderen Beziehung vorgestellt und grundlegend diskutiert werden.
Timm Kunstreich
Kinderschutz im Dialog (S. 38-46)
»Kindeswohl« (auch in der SLR häufiger Thema) ist bekanntlich eine zentrale Kategorie Sozialer Arbeit – vor allem in der Praxis mit Kindern und Familien, die es in Theorie und Praxis immer wieder kritisch zu reflektieren gilt. Timm Kunstreich entwickelt im Anschluss an eine neue Studie Unterschiede in den Konzepten der Städte Hamburg und Erlangen. Einander gegenübergestellt werden hier ein Konzept, das auf Standardisierung setzt, und eines, das reflexiv wie kollektiv entwickelt wurde, damit als Paradigma eines demokratisch dialogischen Verfahrens gelten kann. Dementsprechend wird vorgeschlagen, den Hamburger Ansatz im Interesse von Kindeswohl und Profession radikal zu ändern.
Forschungsbericht
Ulfrid Kleinert
Erkundungen zur Entstehung, Entwicklung und Gegenwart des Islam (S. 47-73)
Das Thema »Islam«, mit dem sich seit einigen Jahrzehnten, vor allem aber seit einigen Jahren vielstimmige wie kontroverse Debatten, aber auch rechtsextreme und neonazistische Positionierungen verbinden, verdient eine großformatige und grundlegende Bearbeitung. Ulfrid Kleinert präsentiert (im besten Sinne) im ersten Teil seines Beitrages fundierte, damit wesentliche Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum, die Entstehung die Entwicklung des Islam, seiner Lesarten deutlich machen. Ein besonderer Teil ist dabei der Frage des Frauenbildes gewidmet (bearbeitet von Angelika Franz). Gegen eine häufig übliche Stimmungsmache, die mit Fragen von Flüchtlingen und Einwanderern vor allem aus dem Nahen Osten verknüpft werden, verweist dieser Forschungsbericht auf qualitativ gehaltvolle Erkenntnisse zu Geschichte und Geschichtsschreibung in ihren Konstellationen, ihrer Ambiguität wie Kontinuität und auf die Folgen von Interpretationen.
Essays
Knut Berner
Final begutachtet – Mosaik zur Sorge um das gelingende Leben (S. 74-90)
Knut Berner widmet sich in seinem Text der Sorge um das gelingende Leben in praktischer Absicht. Denn, so das Argument, jede und jeder hat nur einen Versuch, um Bedingungen des Gelingens herauszufinden. Im Kontext einer philosophisch-theologischen Grundlegung wird dabei der Versuch unternommen, aus unterschiedlichen Perspektiven Möglichkeiten und Grenzen eines Gelingens zu bedenken, mit dem Lebensqualität in sehr unterschiedlichen Facetten bestimmbar wird. Mit der Einzigartigkeit und Einmaligkeit einer jeden Existenz korrespondiert dabei die Einsicht in die Gebundenheit an die eine Erde.
Stefan Weise
Karl Korsch privat (S. 91-106)
Der Existenz einer singulären Person gilt die Darstellung von Stefan Weise: es handelt sich um Karl Korsch, der in der Weimarer Republik einer der prominentesten Vertreter des westlichen Marxismus war – und der dementsprechend in der KPD in ›Schwierigkeiten‹ geriet, 1926 aus der Partei ausgeschlossen und 1933 von den Nazis ins Exil (USA) gezwungen wurde. Prominent wurde er danach wieder im Rahmen der 68er Bewegung, ihrer nicht-dogmatischen Teile als eben kritischer Marxist und als marxistischer Lehrer von Bert Brecht. Stefan Weise skizziert Elemente der Rezeptionsgeschichte seines Werkes und porträtiert im zweiten Teil seines Textes Karl Korsch als privaten Menschen
Trendbericht
Fenna La Gro
Übersetzung und Sozialpädagogik. Dolmetschen für Geflüchtete und Migrant*innen zwischen Prekarität und Professionalisierung (S. 107-123)
Eine hervorragende Vermittlungsmöglichkeit ergibt sich zwischen Forschungsbericht und Trendbericht, da Letzterer unmittelbar mit Fragen von Verstehen, Interpretieren und Übersetzen im Kontext der Praxis von Sozialpädagogik und Sozialarbeit befasst ist. Dolmetschen für Geflüchtete und Migrantinnen ist vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten Jahre zu einer großen Herausforderung im Felde der Sozialarbeit geworden und wird hier von Fenna La Gro in ihren Herausforderungen und Dimensionen, ihren sozialen Orten und ihrer Bedeutung für Klienten und Professionelle systematisch entfaltet. Offensichtlich handelt es sich hier um eine Aufgabe, die in der Perspektive einer nicht kulturalistischen Verkürzung eine große Aufmerksamkeit verdient und in der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens der/des anderen ihre Grundlegung findet.
Einzelbesprechungen
Renate Dillman/Arian Schiffer-Nasserie
Der soziale Staat. Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen. Politische Maßnahmen. Historische Etappen (Wolfgang Völker/Tilman Lutz) (S. 124-126)
Rainer Paris
»Der Wille des Einen ist das Tun des Anderen. Aufsätze zur Machttheorie« (Peter Imbusch) (S. 126-128)
Richter, E./Lehmann, T./Sturzenhecker, B.
So machen Kitas Demokratiebildung. Empirische Erkenntnisse zur Umsetzung des Konzepts »Die Kinderstube der Demokratie« (Thomas Swiderek) (S. 128-131)
Sarina Ahmed/Florian Baier/Martina Fischer
Schulsozialarbeit an Grundschulen. Konzepte und Methoden für eine kooperative Praxis mit Kindern, Eltern und Schule (Rieke Ahaus) (S. 131-133)
Anthony B. Atkinson
Ungleichheit. Was wir dagegen tun können (Heinz Sünker) (S. 133-134)
Autorinnen/Autoren (S. 135)