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Rezensionsaufsätze
Michael Winkler
... und die Wahrheit ist ja ein Prozess (S. 5-13)
Seit einer Reihe von Jahren werden Vorlesungen, die Theodor W. Adorno an der Universität Frankfurt gehalten hat – und die nicht unwesentlich zu seinem Ruhm beigetragen haben –, in der Reihe »Nachgelassene Schriften« – mehrheitlich als Nachschriften- veröffentlicht. Michael Winkler stellt Adornos, Einführung in die Dialektik vor und verbindet dies einleitend mit Fragen nach der Lesbarkeit dieses Autors. Gerade weil Adorno als »schwierig« gilt, diskutiert Winkler in einer konzisen Weise Voraussetzungen und Bedingungen der Lektüre und verdeutlicht deren Verständlichkeit und Nähe zu den Hörern als eine wesentliche Kompetenz dieses hervorragenden Intellektuellen. Inhaltlich wird deutlich, dass und wie – und dies mag für die Gegenwart noch wesentlicher sein – Adorno Gesellschaftsanalyse als Analyse der mit der kapitalistischen Formbestimmtheit von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften – wie deren Dialektik – gegebenen Gesellschaft betreibt. Die Frage nach Bedingungen von Erkenntnis wird dann mit der nach der Durchbrechung von Verdinglichung im Rahmen von kritischem dialektischem Denken verknüpft.
Aaron Looney
Zwischen Endlosikgkeit und Alternativlosigkeit. Die unaufhebbare Irritation der Strafe aus transdisziplinärer Sicht (S. 14-18)
Fragen von kritischem Denken (ver)folgt auch der Text von Aaron Looney, der Konstellationen von philosophischen, sozialpädagogischen, pädagogischen, theologischen, soziologischen und literarischen Beiträgen zu Strafe und Vergeltung – und deren Perspektive – diskutiert. Mit diesem transdiziplinär orientierten Fokus werden Formen und Techniken von Bestrafung und deren praktische Konsequenzen bezüglich Legitimation und Nutzen analysiert. Dabei wird eine Verwurzelung in Traditionen, Mentalitäten und institutionellen Logiken deutlich, die zugleich zeigt, um was es beim »Strafen« tatsächlich geht. Daraus ergibt sich eine facettenreiche Kritik, die aufweist, dass Alternativen zum Strafen üblicher Art dringend nötig sind.
Katharina Gröning
Neues vom Psychoboom (S. 19-24)
Beratung ist »in«. Sie könnte auch als wichtiges Element von bzw. Beitrag zu Foucaults »Technologien des Selbst« wie zur Beschreibung der »Pastoratsmacht « oder aber als – humane (?) – Alternative zum bisherigen Strafen gelesen werden. Katharina Gröning stellt neue Beiträge zur Thematik vor und verortet neue Diskurse in gesellschaftlichen Entwicklungen, die nach einer Trivialisierung psychologischer Momente in der Kultur verlangen. Damit wird Beratung im Kontext vom Psychoboom mehrheitlich zu einer Methode ohne wissenschaftliche Theorie oder korrespondierendes Wissen, so dass nach einer Kritik der Psychotechnik verlangt wird.
Klaus Kraimer
Das Leben als Roman? Zur individuellen Bewährungsdynamik des sich bildenden Subjekts (S. 25-37)
»Das Leben als Roman« betitelt Klaus Kraimer seinen grundsätzlichen Beitrag zur Analyse der individuellen Bewährungsdynamik des sich bildenden Subjekts. Denn ausgehend von einer Rekonstruktion wesentlicher Leitmotive und Argumentationsfiguren der Studie »Probleme und Formationen des modernen Subjekts« von Boris Zizek ist er – wie jener - mit Defoes »Crusoe« und Goethes »Werther« befasst. Dabei geht es ihm methodologisch um die Frage nach der Möglichkeit der Rekonstruktion von Konstitutionsbedingungen des Subjekts in der Moderne, inhaltlich um die Frage, inwieweit und wie Romane einen Beitrag – in ihrer Biographisierung von Gestalten – dazu leisten. Last not least ist dies auch ein Beitrag zu innovativer pädagogischer Reflexion – mit Bezügen zu Entwicklungs-, Identitäts-, Sozialisations-, Subjekt- und Biographieforschung, in/mit einer Vermittlung von Oevermann und Tomasello.
Diskussion
György Széll und Harald Seubert diskutieren in äußerst kontroverser Weise den Band »Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus « von Wolfgang Streeck. Szélls Verdikt des sozialen Nationalismus als Folie der Studie steht Seuberts positive Einschätzung der Grundlegung wie Leistung dieser Studie gegenüber. Dabei sieht Seubert es als Verdienst an, dass endlich wieder gesellschaftsanalytisch von Kapitalismus gesprochen wird, während Széll den Finger in die Wunde der von ihm herausgestellten analytischen Verkürzungen und Fehler des Streeckschen Vorgehens legt. Im Grunde genommen entzündet sich die entscheidende Beurteilungsfrage an der Auseinandersetzung über den Begriff des »demokratischen Kapitalismus«, mithin über die Frage der Einschätzung gesellschaftlicher Realität(en) und des Widerspruchs von Demokratie und Kapitalismus – was des Ertrags wegen und da dies Streecks Adorno- Vorlesungen betrifft zu einem Vergleich mit Winklers Rezensionsaufsatz zu Adorno einlädt.
Kapitalismusanalyse kontrovers (S. 38-45)
Harald Seubert
Von Gekaufter Zeit, Demokratie und Kapitalismus (S. 46-54)
Sammelbesprechung
Frank Eckardt
Urban Studies auf Deutsch: Zur Kontruktion von Stadtforschung in der gleichnamigen Publikationsreihe des transcript-Verlages (S. 55-60)
Mit dem Erscheinen von »urban studies« im Deutschen verändert sich die Stadt- und Raumforschung hierzulande – zumindest semantisch. Frank Eckardt diskutiert, ob und inwieweit diese Wendung inhaltliche Konsequenzen hat und zeigt anhand dreier Beispiele, in deren Zentrum Fragen von Raumaneignung und Raumausgrenzung, sozialer Kontrolle und Widerstand stehen, mögliche Folgen auf. Deutlich wird dabei, dass es bislang noch keine kohärente analytische Perspektivierung gibt, mit der eine stadtsoziologische Grundlegung neuer Art sich ergäbe – auch hier tritt Transdisziplinarität eher in den Vordergrund.
Sabina Schuttner/Heinz Kindler
Kinderschutzforschung zwischen Evidenz und Desiderat (S. 61-67)
Essays
John Clarke
Widersprüche des heutigen Wohlfahrtsstaates (S. 68-81)
Ausgehend von Claus Offes mehr als dreißig Jahre altem klassischem Band über Widersprüche des modernen Wohlfahrtsstaates, dessen wesentlichen Argumentationsfiguren und Leitmotivik, analysiert John Clarke entscheidende Entwicklungslinien einer politisch-gesellschaftlichen Entwicklung zu den Widersprüchen des heutigen Wohlfahrtsstaates. Auch hier steht die Frage der Konsequenzen der kapitalistischen Verfasstheit sowie die nach den Vermittlungen zwischen Kapitalismus und Wohlfahrtsstaat – im historischen Wandel – im Zentrum. Denn klar ist, dass es immer noch das Wesen dieser Staatsform ausmacht, aus politischen Arrangements, auf sozialen Beziehungen und politischen Kräfteverhältnissen aufruhend, zu bestehen. Transformationen wie Rückbildungen in den letzten dreißig Jahren sind daher aus Veränderungen dieser Arrangements samt damit einhergehenden Kräfteverschiebungen zu verstehen.
Sebastian Voigt
Pädagoge, Kommunist, Jude. Zum einhundertsten Geburtstag von Ernest Jouhy (S. 82-97)
Den einhundertsten Geburtstag von Ernest Jouhy nimmt Sebastian Voigt zum Anlass, an Leben und Werk dieses leider weitgehend vergessenen Intellektuellen zu erinnern, der als Pädagoge, Kommunist und Ex-Kommunist sowie Jude wirkte, als deutscher Widerstandskämpfer gegen die Nazis sich an der französischen Resistance beteiligte, jüdischen Kindern in Südfrankreich das Überleben sicherte, 1952 in die Bundesrepublik kam, als Lehrer an der Odenwaldschule arbeite, zuletzt an der Universität Frankfurt/M. als Professor forschte und lehrte, dort u.a. den Bereich »Bildungsforschung Dritte Welt« aufbaute. Im Text geht es nicht allein um biographische Details, sondern um die Beziehung zwischen Jouhys historischen Erfahrungen und der Entwicklung seiner politischen wie pädagogischen Überzeugungen, deren Kern in Vorstellungen zur Demokratisierung von Schule und Humanisierung von Pädagogik besteht.
Felix Ekardt
Das Prinzip Nachhaltigkeit und sein Verhältnis zur sozialen Frage (S. 98-108)
»Nachhaltigkeit« ist in aller Munde. Daher ist es mehr als an der Zeit, das Verhältnis dieses Prinzips, dem unterschiedliche gesellschaftliche Beziehungen eigen sind, zur sozialen Frage zu thematisieren. Felix Ekardt tut dies und entfaltet einen Reigen an Argumentationen, in deren Zentrum ein Verständnis von Nachhaltigkeit mit Bezug auf intertemporale und globale Gerechtigkeit steht. Damit gelingt es ihm, die von vielen wahrgenommene Spannung zwischen einer wirksamen Ressourcenpolitik und sozialen Verteilungsfragen zu relativieren und gestaltbar zu machen.
Manfred J. Foerster
Die antisoziale Persönlichkeit im Strafvollzug – dargestellt an der Figur des Hannibal Lecter aus dem Film: Das Schweigen der Lämmer (S. 109-118)
Mit Hannibal Lecter wird im Film »Das Schweigen der Lämmer« eine Figur der Verkörperung des »Bösen« entwickelt, die in vielfacher Hinsicht herausfordernd ist; denn mit ihm verbinden sich brutale kriminelle Akte, die nach einer Erklärung verlangen. Manfred J. Foerster nimmt in seinem Versuch über die antisoziale Persönlichkeit im Strafvollzug diese Herausforderung auf und entwickelt eine Vorstellung von Persönlichkeitsstörung im Kontext von Elementen der Gehirnforschung wie der Sozialen Arbeit, die Grenzen der Bearbeitung erahnen lässt, da hier – anders als im Band »Vergeltung ohne Ende?« – grundsätzliche Probleme des Verstehens von Handlungen wie der Bestimmung von Humanität zu sehen sind. Problematisch wird damit zugleich die Möglichkeit und Reichweite der Definition »antisozial«, der darin eingelassenen Bezüge auf individuelle Störungen.
Einzelbesprechungen
Jens Kersten/Claudia Neu/Berthold Vogel
Demografie und Demokratie. Zur Politisierung des Wohlfahrtsstaates (Wolfgang Völker) (S. 119-124)
Stefanie Schmahl
Kinderrechtskonvention mit Zusatzprotokollen (Manfred Liebel) (S. 124-129)
Ludwig Liegle
Frühpädagogik. Erziehung und Bildung kleiner Kinder (Cornelia Wustmann) (S. 129-132)
Andrea Lanfranchi/Joseph Steppacher
Schulische Integration gelingt. Gute Praxis wahrnehmen, Neues entwickeln (Stephanie Rigano) (S. 132-134)
Christina Münk
Handeln oder Sein. Die existenzielle Psychoanalyse Jean-Paul Sartres (Sandra Kuhlmann) (S. 134-137)
Markus Pohlmann/Hristina Markova
Soziologie der Organisation. Eine Einführung
Stefan Kühl
Organisationen. Eine sehr kurze Einführung (Thomas Matys) (S. 137-141)
Sabine Mehlmann/Sigrid Ruby
»Für Dein alter siehst Du gut aus!« Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven
(Ute Karl) (S.141-143)
Autorinnen/Autoren (S. 144)
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